„Arbeiter für das Himmelreich“
Im November des letzten Jahres fand in Rom eine Begegnung der Generalsuperioren der männlichen Ordensgemeinschaften mit Papst Franziskus statt. Im Laufe des Gesprächs wies Papst Franziksus – der selbst Ordensmann ist – darauf hin, dass die Werke eines Ordens oft zeitbedingt und damit vergänglich sind. Das Charisma aber bleibt und überdauert die Zeit. In jeder Generation gilt es aufs neue, ausgehend von diesem Charisma, die Sendung des Ordens zu aktualisieren und zu verwirklichen. Nun sind auch wir in der Situation, dass eines der Werke des Ordens, die „Kalasantinerblätter“, in der bisherigen Form eingestellt wird. Heute sind neue Medien und neue Formen der Kommunikation gefragt. So manches ist in unserer Zeit im Umbruch und in der vielbeschworenen Krise. Umso bedeutender ist es, die Frage nach dem Charisma, der eigentlichen „Seele“ und dem innersten Lebensprinzip unserer Gemeinschaft, die nun 125 Jahre alt geworden ist, zu fragen. Hierzu sollen auch die folgenden Gedanken dienen.
Die drei Säulen
Mit 125 Jahren gehört unser Orden immer noch zu den jüngeren Gemeinschaften. Trotzdem hat auch er schon eine bewegte Geschichte hinter sich: die Gründerjahre, die schwierige Zeit nach dem Zusammenbruch der Monarchie, der Niedergang des Ordens und schließlich eine neue Blüte seit Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts durch die Zusammenarbeit einiger Kalasantinerpriester mit dem Weltpriester und Leiter der KGI Wien, Dr. Herbert Madinger. In den letzten vierzig Jahren wurden auch neue Akzente in der Arbeit des Ordens gesetzt, um den neuen Herausforderungen zu begegnen, die sich aus den konkreten Problemen und der gesellschaftlichen Situation unserer Zeit ergeben. Diese Prozesse der Wandlung und der Veränderung, die heute jeden Orden betreffen, waren seinerzeit Thema beim Generalkapitel im Jahre 1996. Im Rahmen der Erneurung der Ordensregel, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil allen Gemeinschaften aufgetragen war, wurden auch die Grundsätze unserer Ordensspiritualität für heute formuliert, die nun auf drei Säulen aufruht. Diese Spiritualität geht auf das Wirken von drei Persönlichkeiten zurück: den heiligen Josef Calasanz, den seligen P. Anton Maria Schwartz und Dr. Herbert Madinger.
Warum Kalasantiner?
Unser Gründer ist der aus Baden bei Wien stammende Anton Maria Schwartz. Trotzdem heißen wir nicht „Schwartzianer“, sondern „Kalasantiner“, nach dem heiligen Josef Calasanz (1557-1648). Damit gehört unsere Ordensgemeinschaft zur größeren Calasanzianischen Familie, der etwa zehn Orden angehören. Josef Calasanz gilt als „Erfinder“ der unentgeltlichen Volksschulen und hat den Orden der Piaristen („Fromme Schulen“) gegründet. P. Anton Maria Schwartz (1852-1929) wollte ursprünglich Piarist werden und war bereits als Novize aufgenommen. Doch da wegen des damals in der Monarchie schwelenden Kulturkampfes der Fortbestand der Piaristen in Österreich nicht mehr gewährleistet war, riet man dem jungen Novizen, den Orden zu verlassen und Diözesanpriester zu werden. Anton Schwartz folgte diesem Rat, bewahrte aber die calsanzianische Spiritualität in seinem Herzen, die schließlich den Orden, den er selbst gegründet hat, maßgeblich prägen sollte, so sehr, dass er die Brüder verpflichtet hat, diesen calsanzianischen Geist niemals aufzugeben. Der Name des Ordens: „Die christlichen Arbeiter vom heiligen Josef Calasanz“, oder kurz: „Kalasantiner“, sollte die Mitglieder dieses Ordens stets an diesen Ursprung ihrer Spiritualität erinnern.
Calasanz heute
Josef Calasanz wird vor allem mit den Begriffen Schule und Erziehung in Verbindung gebracht. So steht auch in unserer Ordensregel, dass das Erziehungsideal des heiligen Josef Calasanz ein wesentliches Element unserer Spiritualität ist. Die Spiritualität dieses Heiligen ist aber auch aus weiteren Gründen für heute höchst aktuell. Josef Calasanz war ein Mann, der mit der Kirche ging. Zum Priester wurde er kurz nach Abschluss des tridentinischen Konzils geweiht. Als eine seiner ersten Aufgaben sah er, die Erneuerungen dieses Konzils in der Kirche Spaniens durchzusetzen. Hätte Josef Calasanz heute gelebt, würde er sich dafür einsetzen, die Reformen des Zweiten Vatikanums durchzusetzen. Die Spiritualität dieses Heiligen hat nichts Rückwärtsgewandtes, nichts Traditionalistisches an sich, vielmehr ist sie offen für die Impulse des Heiligen Geistes, der die Kirche seit jeher durch die Zeiten führt.
Josef Calasanz war darüber hinaus sehr aufgeschlossen für die geradezu seiner Zeit aufblühenden Naturwissenschaften. Niemals verstand er die Naturwissenschaft als Konkurrenz zum christlichen Glauben. Er pflegte Kontakte zu Galileo Gallilei und stellte diesem, der bereits von der Kirche zu Hausarrest verurteilt worden war, zwei seiner Ordensbrüder als persönliche Sekretäre zur Verfügung. Der Grundsatz des heiligen Josef Calasanz „Pietas et Litterae“ (Frömmigkeit und Bildung) drückt aus, dass Glaube und Vernunft untrennbar miteinander verbunden sind. In dem Zusammenhang ist auch erhellend, dass ihm die Mathematik so wichtig erschien, dass in allen Schulen Rechenunterricht erteilt werden musste. Er gründete sogar eine Hochschule für Mathematik in Florenz. Mathematik als Sprache der Naturwissenschaften sollte für die Zukunft eine besondere Bedeutung bekommen. Es zeigt sich gerade an der Spiritualität des heiligen Josef Calasanz, dass der christliche Glaube nicht in eine spiritualistische, mystizistische Parallelwelt führt. Vielmehr öffnet der christliche Glaube für das Ganze der Wirklichkeit. Wie wichtig ist dieser Aspekt christlichen Glaubens für heute, für eine Zeit, in der man zwar sehr viel von „neuer Religiosität“ spricht, damit aber häufig nur esoterische Verfremdungen echterReligion meint.
Sendung in die Arbeitswelt
Fast alle Orden der Calasanzianischen Familie haben Schulen zur Erziehung und zum Unterricht der Kinder errichtet. Es ist auffallend, dass P. Schwartz trotz seiner Verwurzelung in der Spiritualität des Josef Calasanz das nicht getan hat. P. Schwartz sah seine Aufgabe in der Sendung zu den Lehrlingen nicht darin, Berufsschulen zur Berufsausbildung zu gründen, sondern den Lehrlingen eine Glaubensschulung anzubieten, damit sie gleichsam nach dem Prinzip des Sauerteigs die Gesellschaft, die schon damals nach und nach die christlichen Wurzeln vergaß, „wieder verchristlichen“. Heute würden wir dafür den Begriff „Neuevangelisierung“ verwenden. Damit wurde P. Schwartz zum Gelenk, das Spiritualität und Erziehungsideal des heiligen Josef Calasanz auf die Herausforderungen der aufkommenden säkularisierten, neuheidnischen modernen westlichen Gesellschaftvorbereitete.
Zur Lebenszeit des P. Schwartz verstand man unter dem „Arbeiter“ vor allem den Industriearbeiter, in jedem Fall aber den „Erwerbstätigen“. Insofern schien sich die Sendung der Ordensgemeinschaft der Kalasantiner vorwiegend auf eine bestimmte Personengruppe beziehungsweise Gesellschaftsschicht zu richten. Heute wird der Begriff der Arbeit wieder so verstanden wie in früheren Epochen der Geschichte: Jede Art der Werktätigkeit, durch die der Mensch gestaltend in diese Welt eingreift und diese verändert, ist Arbeit. Dies gilt nicht nur für handwerkliche Tätigkeiten. Es gibt Geistesarbeit, Beziehungsarbeit und so weiter. Den Kalasantinern sind die Menschen also hinsichtlich ihres biblischen Schöpfungsauftrages, diese Welt zu „bebauen und zu behüten“ anvertraut.
Jüngerschulung
Die Impulse, die von Dr. Herbert Madinger ausgingen, wurden wesentlich für den Neuaufbruch des Ordens ab den 1970er Jahren. Er sah schon damals das Ende der traditionellen Volkskirche kommen. Die Kirche der Zukunft würde die Kirche der Entschiedenen sein, eine Kirche von Christen, die sich für einen echten Jüngerweg entschieden haben. Das Ziel der Gruppen, die aus der Arbeit der Katholischen Glaubensinformation hervorgegangen sind, war und ist bis heute die Schulung und Formung der Jünger. Der Jünger ist der Sauerteig für die Kirche und für die ganze Gesellschaft. Mit der bewussten Erneuerung des Taufglaubens durch die Jüngerentscheidung ist auch der „Aufbruch zur Tat“, wie Dr. Madinger es nannte, verbunden. Der Jünger setzt sich für die Gesellschaft ein, an dem Ort, an den er durch seine Lebenssituation und seinen Beruf gestellt ist.
Arbeiter für das Himmelreich
Während mit Josef Calasanz der Begriff des Schülers verbunden ist, der in den Schulen unterrichtet wird, so ist mit P. Schwartz zunächst der Begriff des Lehrlings verbunden, zu dem er sich gesandt wusste. Heute sprechen wir von den Jüngern, die für den Einsatz in Kirche und Welt ausgerüstet werden sollen. Schüler-Lehrling-Jünger – dafür hat die Ursprache des Neuen Testamtentes einen gemeinsamen Begriff: Mathetes. Der Schüler Gottes ist Lehrling und Jünger Jesu, der seinen Weg in der Nachfolge Christi geht.
In einer Ansprache vor Ordensleuten sagte der damalige Kardinal Bergoglio, später Papst Franzikus, diese seien „Arbeiter für das Himmelreich“. Dies ist ein schönes Wort, und es kann für jeden Jünger gelten. Papst Franziskus wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass der Einsatz für diese Welt gleichzeitig auch der Einsatz für die bleibende Welt ist. Gott hat den Menschen diese Welt anvertraut, damit sie durch die Arbeit und Tätigkeit des Menschen in die Welt des Menschen verwandelt wird. Dies wird in der Bibel ausgedrückt im Bild der Stadt, die durch Menschen erbaut wird. Wenn dies im Hören auf Gott geschieht und alle Arbeit im Geist des Evangeliums verrichtet wird, dann wird zugleich mit allem irdischen Tun die Saat für das himmlische Jerusalem, für die bleibende Welt ausgebracht – dann wird die Welt des Menschen zugleich die Welt Gottes sein.
Das also ist die Aufgabe der Kalasantiner heute: die Menschen zu rufen und in der Jüngerschule zu formen, damit sie diesen wunderbaren Auftrag erfüllen können – als „Arbeiter für das Himmelreich“.